
„Ein Handy habe ich nicht.“
Prof. Gernot Minke, Architekt, emeritierter Universitätsprofessor aus Kassel
Interview vom 28. August 2013, in seinem Haus in Kassel
Prof. Minke hat viele Bücher zum Thema „Bauen mit Lehm und natürlichen Materialien“ geschrieben. Er leitete 38 Jahre lang das Forschungslabor für Experimentelles Bauen (FEB) an der Universität Kassel. 2012 ist er in den Ruhestand gegangen. Wir wollten etwas über seine Forschung zum Bauen mit Lehm erfahren und auch über seinen Eindruck von der Zukunft des Bauens mit Lehm und natürlichen Materialien in Europa.
Nach vierstündiger Fahrt von Berlin kamen wir in Kassel an. Es dauerte eine Weile, bis wir das Haus des Professors fanden. Zunächst sah es aus, als gebe es kein Haus an dem Ort, wo das Interview stattfinden sollte, sondern nur Sträucher. Nach einer Weile sahen wir einen Pfad durch die Büsche. Er führte uns zu einer kleinen Tür. Und diese Tür öffnete eine Kathedrale!
Von Notunterkünften aus Kunststoff zu erdbebensicheren Lehmhäusern
Wie sind Sie dazu gekommen, sich für Lehmhäuser zu interessieren?
1979 hatte ich ein Forschungssemester genommen, um amerikanische Universitäten zu besuchen. Ich wollte herausfinden, was auf dem Gebiet alternativer Bautechnologien passiert. Darüber hinaus habe ich Guatemala besucht, wo mein Vater geboren wurde, und dort die Erdbebenschäden von 1968 sowie die schrecklichen Notunterkünfte gesehen, die von internationalen Hilfsorganisationen gebaut wurden: Häuser aus vorgefertigten Elementen aus Kunststoff, Betonplatten, Pappkarton. Ich dachte, dass es möglich sein müsste, erdbebensichere Wohnhäuser aus Lehm zu bauen. Als ich dann wieder zurück an der Universität Kassel war, habe ich Fördermittel bekommen, um an dem von mir gegründeten Forschungslabor für Experimentelles Bauen eine erdbebensichere Stampflehmwand zu entwickeln, die mit Bambus stabilisiert ist und genügend Flexibilität besitzt, um die kinetische Energie eines Erdbebens zu absorbieren. Das war ziemlich innovativ.
Wir haben diese Methode dann angewendet und damit in Guatemala ein kleines Lehmhaus für 500 US-Dollar Materialkosten gebaut. Aber niemand hatte daran Interesse. Das Haus war zu billig. Der Eigentümer der Hacienda war Nutznießer der Entwicklungshilfe (er musste zwei Millionen US-Dollar Spendengelder pro Jahr ausgeben) und wollte ein größeres, repräsentatives Haus haben. Und die Unternehmen vor Ort hatten kein Interesse, weil wir nichts einkaufen mussten, abgesehen von ein paar Schrauben und Platten für das Dach. Es war sehr frustrierend. Also bin ich nach Deutschland zurückgekehrt und habe 1983 hier in Kassel mein erstes Lehmhaus in einer ökologischen Siedlung gebaut. Acht Jahre danach habe ich das zweite Haus für mich gebaut, in dem ich jetzt wohne, in dem die Räume mit Lehmkuppeln überwölbt sind.
„Moderne Architektur aus Schlamm?!“
Als ich dann 25 Jahre später wieder in Guatemala war und den Menschen dort Fotos von meinen neuen Häusern aus Lehm gezeigt habe, konnten sie es nicht
glauben: „Sie können moderne Architektur aus Schlamm machen?!“ Denn für sie ist Lehm etwas, das nur arme Leute zum Bauen verwenden. Und das ist in den Entwicklungsländern das größte Problem. Deshalb meine These: „Man sollte erst Lehmhäuser für Reiche, für Manager, für Divas und dann erst für die Armen bauen.“
Über 38 Jahre habe ich dieses Forschungslabor geleitet. Mit nur einem Techniker und einem wissenschaftlichen Mitarbeiter als festen Mitarbeitern haben wir 50 Forschungsprojekte durchgeführt, 30 davon bezogen sich auf das Bauen mit Lehm.
Wurden Sie von der Umweltbewegung in den 70er Jahren beeinflusst?
Nein. Nicht direkt. Seit den späten 70er und frühen 80er Jahren gab es tatsächlich an den Unis eine große Bewegung für alternative Technologien. Natürlich haben wir Bücher aus den USA gelesen, z. B. „Homemade houses“ oder „Shelter“. Über diese Entwicklungen in den USA war eine Reihe von uns sehr gut informiert.
Universität Kassel – 38 Jahre Forschung zum Bauen mit Lehm
War die Universität Kassel weltweit die erste Institution, an der über Bauen mit Lehm geforscht wurde?
Die Universität Kassel hatte das erste Forschungslabor dieser Art, und es ist das einzige, das sich kontinuierlich von 1974 bis 2011 mit diesem Thema beschäftigte. Bei CRAterre in Frankreich gab es auch einige Forschungsprojekte zum Lehmbau, seit den späten 70er Jahren. Kassel aber war der einzige Ort, an dem kontinuierlich Bauen mit Lehm erforscht und gelehrt wurde. An unseren Lehmbau-Einführugskursen für Externe, also die studentischen Kurse nicht mitgerechnet, nahmen insgesamt über 2.200 Personen teil.
Warum wurde das Forschungslabor 2011 geschlossen?
Weil kein Nachfolger gefunden wurde, der sowohl herausragender Architekt wie auch Forscher auf diesem Gebiet ist.
Außerdem wurde die Stelle meines Technikers Opfer der vom Finanzminister vorgeschriebenen Stellenstreichungen. Er war für mich der wichtigste Mitarbeiter, der alle meine Ideen technisch umgesetzt hat … Es lag wohl auch an dem Hightech-Glauben der jüngeren Kollegen der Architekturabteilung, dass Bauen mit Lehm und Stroh wenig Relevanz für die „moderne“ Architektur habe. 2012 haben wir unser letztes Forschungsprojekt abgeschlossen. Mein Techniker ist jetzt im Ruhestand, und ich auch.
Erste Entdeckungen und Erkenntnisse unter der Dusche
Was haben Sie entdeckt? Welche Ergebnisse Ihrer Lehmbauforschung haben Sie am meisten überrascht? Haben Sie diese Ergebnisse erwartet?
Als Erstes, dass Lehm mehr als alle anderen Baustoffe Luftfeuchtigkeit absorbiert, wenn die relative Luftfeuchtigkeit über 50 % liegt, und abgibt, wenn sie niedriger als 50 % ist.
In meinem ersten Haus, das auch ein Lehmhaus war, habe ich mit Erstaunen festgestellt, dass ich beinahe das ganze Jahr über gleichbleibend 50 % Luftfeuchtigkeit hatte. Nach dem Kochen stieg die relative Luftfeuchtigkeit in der Küche vielleicht auf bis zu 60 oder 65 %, aber eine Stunde später war sie bereits wieder auf 50 % gefallen. Im Bad hatte ich nach langem Duschen nie mehr als 70 % Feuchtigkeit, auch bei geschlossenen Fenstern und Türen. Ich habe erkannt, dass in feuchten Räumen wie Badezimmern keine Pilze wachsen würden, da Pilze sich erst bei 80-85 % Luftfeuchtigkeit entwickeln.
Also ist meine Philosophie: „Ein Bad aus Lehm ist hygienischer als ein modernes Badezimmer, das von oben bis unten mit Keramik abgedeckt wird!“ (Denn dort siedelt sich in den Fugen oft der Schwarzschimmel an, dessen Sporen stark toxisch wirken.) Diese Ergebnisse konnten wir im Forschungslabor weiter bestätigen. Wir haben Hunderte von Tests gemacht. Das war in den 80er Jahren.
Lehmhäuser: „Orte der Stille“ im elektromagnetischen Zeitalter
Eine weitere wichtige Entdeckung war, dass Lehm hochfrequente elektromagnetische Wellen besser als jeder andere massive Baustoff abhält. Diese Untersuchungen wurden im Forschungslabor der Bundeswehr-Hochschule in München durchgeführt. Durch ein Lehmgewölbe mit einem grünen Dach (15 cm Erde für die Dachbegrünung plus 24 cm Lehmsteine) werden die elektromagnetischen Wellen im Haus um mehr als 99,99 % reduziert.
Wir haben für einen Kunden, der ein elektrostressfreies Haus haben wollte, eines bauen können, in dem gemessen wurde, dass 99,6 % der elektromagnetischen Wellen von außen abgehalten wurden. Das Haus hat Lehmgewölbe, ein Gründach und spezielle Fenster, die mit einer dünnen Metallschicht bedampft sind. Diese Fenster wurden eigentlich zur Erhöhung der Wärmedämmwirkung entwickelt, aber wir haben gesehen, dass sie auch als Schutzschild gegen elektromagnetische Wellen wirken.
Wenn Sie ein Handy in diesem Haus benutzen wollen, müssen Sie an die offene Tür gehen. – Ich habe übrigens kein Handy. Ich bin einer der wenigen deutschen Architekten, die ohne ein Handy leben können. – Aber auch die Frequenzen von Geräten im Haus haben wir geprüft und herausgefunden, dass schnurlose Telefone und Radiowecker eine starke Belastung darstellen. Die Basis des schnurlosen DECT-Telefons strahlt immer, ob Sie telefonieren oder nicht. Meine Empfehlung ist daher, dass Ihr Schlafplatz und Ihr Arbeitsplatz mindestens 6 m Abstand von der Basis des schnurlosen Telefons haben sollten.
Das waren also die zwei Haupteigenschaften von Lehm, die mir wichtig waren für gesundes Wohnen. Hinzu kommen die ökologischen Eigenschaften, dass Lehm bei Herstellung und Gebrauch die Umwelt praktisch nicht belastet, dass es ein regionales Produkt und immer wiederverwendbar ist. Lehmbautechniken sind aber auch arbeitsintensiv – was je nachdem gut oder schlecht sein kann. Für die Industrie ist es natürlich zu teuer, weil es
arbeitsintensiv ist. Aber in den Entwicklungsländern ist es ideal. Es schafft Arbeitsplätze.
Und die grünen Ziegelsteine in den Wänden Ihres Hauses … sind sie handgemacht?
Nein, nein. Sie wurden in einer Fabrik hergestellt, aber nicht gebrannt. Es gibt eine kleine Fabrik hier in Hessen, die diese ungebrannten Ziegel produziert, 40 % günstiger als die gebrannten. Diese Fabrik hat ihre Öfen stillgelegt und produziert nur noch diese rohen Ziegelsteine.
Domhäuser zum Wohnen
In Deutschland ist die Architektur normalerweise rechteckig, mit einem Dach, das meistens zwei Seiten hat. Aber Ihr Design ist von runden Räumen und Dombauten inspiriert. Wie sind Sie zu dieser Form gekommen?
Nun, den ersten Eindruck davon hatte ich, als ich als Student durch den Balkan und die Türkei gereist bin und die alten Moscheen und byzantinischen Kirchen gesehen habe. Sie hatten alle eine achteckige Form
mit Kuppeln, das hat mich so fasziniert. Dann habe ich mich aber nicht weiter damit beschäftigt, weil ich dachte, dass diese Architektur nur für Gotteshäuser und nicht zum Wohnen ist. Später habe ich dann zufällig in dem Haus von Hassan Fahti in Ägypten übernachtet, unter einer Lehmkuppel geschlafen und gedacht: „Wow! Ich muss unbedingt versuchen, so ein Haus zu bauen!“ Und dann habe ich ein Gebäude entworfen, das nur in der Mitte eine Kuppel, sonst aber senkrechte Wände hatte, aber das war unbefriedigend. Das Design war nicht konsequent. Ich habe dann zwei Jahre an dem Entwurf gesessen, um die richtige Lösung zu finden. In einem Kuppelraum zu wohnen, zu arbeiten ist faszinierend, ich habe inzwischen fast 40 unterschiedlichste Kuppelbauten errichten können!
„Das hat mich fasziniert: die Atmosphäre, die Energie, der Raum.“
Also, nachdem Sie damit angefangen haben, Kuppeln zu bauen, sind Sie bei dieser Form geblieben und haben versucht, sie zu verbessern?
Zunächst hat mich die Atmosphäre fasziniert; die Energie dieser Räume. Dann habe ich begonnen, die verschiedenen traditionellen Bautechniken zu studieren und dann neue Techniken zu entwickeln. Bei Beton würden Sie sehr viel Stahl brauchen, um eine Kuppel zusammenzuhalten. Aber mit Lehm habe ich keine Probleme. Ich kann eine Öffnung machen, ohne irgendwelche strukturellen Schwierigkeiten zu bekommen, weil ich eine optimierte Querschnittsform verwende.
Sind Sie in Deutschland bei Ihren Dombauten auf irgendwelche Schwierigkeiten gestoßen? Oder bei runden Räumen?
Ich hatte nie irgendwelche Probleme mit der Form, nur wenn wir Gewölbe aus Strohballen bauen, gibt es einen erhöhten Aufwand beim Genehmigungsverfahren. Es gibt dafür keinen Schlüssel oder Standard. Das ändert sich aber gerade. Im vergangenen Jahr haben wir ein Gebäude aus Strohballen mit fünf Gewölben in Norddeutschland gebaut. Und ich bin froh, dass dieses Gebäude offiziell genehmigt wurde.
Ich muss sagen, dass ich experimentelle Dinge sehr oft zuerst im Ausland gebaut habe, um Erfahrungen zu sammeln. Das hat mir später dann dabei geholfen, die Genehmigung zu bekommen, diese Technik in Deutschland anzuwenden. Die ersten lasttragenden Gewölbe aus Strohballen haben wir in Portugal gebaut, und das erste lasttragende Kuppelgewölbe aus Strohballen in der Slowakei.
Bedeutet das, dass heutzutage jeder Architekt in Deutschland einen Dom bauen kann?
Man kann in Deutschland natürlich Kuppeln bauen. Man benötigt allerdings die statische Berechnung dafür.
Welches Ihrer Gebäude ist Ihr „Baby“? Welches mögen Sie am liebsten?
Zum Wohnen ist das mein Haus. Und als Kindergarten ist es das Gebäude in Sorsum, einem Dorf in der Nähe von Hannover. Dieses war neu und faszinierend für alle. Das Gebäude hat sieben Kuppeln aus ungebrannten Lehmsteinen und ist vollständig mit einem grünen Dach überzogen.
Begeisterung fürs Selbermachen: Ist Lateinamerika das kommende Paradies des natürlichen Wohnens?
Wie planen Sie den Bauprozess? Arbeiten Sie zum Beispiel gerne mit freiwilligen Helfern?
Seit ich im Ruhestand bin, bin ich vor allem in Lateinamerika beschäftigt, wo mein Wissen besonders gefragt ist. Dort halte ich zehn bis zwölf Workshops und viele Vorträge zu den Themen „Bauen mit Lehm“, „Bauen mit Stroh“, „Dachbegrünungen“ und „Vertikale Gärten“ im Jahr. Die Workshops verbinden Theorie mit Praxis, es wird immer etwas realisiert, nach dem Prinzip „Learning by doing“. In Lateinamerika ist das Interesse am ökologischen und nachhaltigen Bauen besonders groß, vor allem an Lowtech-Lösungen.
Als Folge meiner Workshops und Vorträge zu den Themen „Dachbegrünungen“ und „Vertikale Gärten“ sind dort inzwischen viele Initiativen, auch Firmen entstanden, die diese Ideen verbreiten und realisieren. In Lateinamerika sind Gründächer
wirklich Mode geworden.Von den spanischen Ausgaben meiner Bücher über Gründächer und über Lehmbau gibt es bereits mehrere Neuauflagen. Ich habe eines der ersten Gründächer in Brasilien gebaut. Danach hat eine Architektin, die das bei mir gelernt hat, weitergemacht und Gründächer rundherum in Lateinamerika gebaut: in Uruguay, Kolumbien, Brasilien und so weiter. Die Verbreitung nimmt wirklich zu.
Unterrichten Sie Dachbegrünung auch in Deutschland?
Nein, nicht mehr. Als wir 1978 das erste moderne Grasdach in Kassel gebaut haben, war das eine Sensation. Inzwischen ist das ein Markt, der von vielen großen Firmen besetzt ist. Nur sehr wenige werden von Privatpersonen selbst gebaut.
Wir haben damals dazu die ersten Forschungen durchgeführt und die Ergebnisse veröffentlicht. Messungen auf dem Gründach meines Hauses zum Beispiel haben gezeigt, dass ich bei 30 °C Außentemperatur unter dem grünen Dach erfrischende 17,5 °C messen konnte.
Im Winter, wenn draußen 14 °C Kälte herrschten, waren es unter der dem Gründach nur 0 °C. Diese Ergebnisse wurden in vielen Sprachen veröffentlicht.
Wenn ich aber in Deutschland ein Haus mit einem Gründach bauen wollte, was würden Sie mir raten?
Vermeiden Sie unnötig teure Lösungen! Lesen Sie mein Buch, um Fehler zu vermeiden.
Brauche ich dafür eine Genehmigung ?
Für jede Baumaßnahme benötigen Sie eine Genehmigung. Sie sollten sich über die Art und die Höhe des Substrats Gedanken machen, das muss auf die Vegetation abgestimmt sein, auch Orientierung und Dachneigung spielen eine Rolle. Auf einem ein- oder zweitägigen Workshops können Sie lernen, wie man ein Gründach baut.
„Für meine Kollegen in Deutschland war ich der Spinner, der mit Erde herumspielt.“
Warum sind Sie lieber in Südamerika als in Deutschland?
In Südamerika haben die Menschen so eine positiv Einstellung, sie sind neugierig und interessiert. Sehen Sie, hier in Deutschland wurde ich zunächst nicht ernst genommen. Heute werde ich akzeptiert, aber früher haben Kollegen gesagt, dass ich „der Spinner“ sei, der mit Erde, gebrauchten Flaschen und Reifen herumspielt … Das sei keine Architektur! Einer meiner Kollegen war einmal in Japan, um an einer Konferenz teilzunehmen. Er wurde gefragt: „Ach so! Sie sind von der Earth Architecture University Kassel?“ Mein Kollege hat das nicht verstanden. Er kannte meine Arbeit gar nicht. Ich war und bin im Ausland bekannter als hier in Deutschland. Ich wurde zu mehr als 60 internationalen Konferenzen eingeladen, meine Bücher sind in mehrere Sprachen erschienen. Aber die meisten meiner Kollegen hier in Kassel hatten keine Ahnung, was ich überhaupt mache.
Sind Sie von anderen deutschen Universitäten zu Vorträgen eingeladen worden?
Zu Vorträgen, ja. Aber nicht oft. Hauptsächlich von internationalen Organisationen und ausländischen
Universitäten, vor allem von privaten Organisationen, von alternativen Gruppen oder Permakulturzentren, die sich gerade zunehmend verbreiten. In Lateinamerika gibt es eine große Bewegung, viel größer als in Europa. Dort hat die Entwicklung etwa 20 Jahre später begonnen als in Deutschland, aber sie ist sehr intensiv!
Bauvorschriften in Deutschland – regulieren sie zu viel?
Wie wurden die Bauvorschriften in Deutschland entwickelt?
In Deutschland gab es 1947 die erste Lehmbau-Verordnung. Das waren die ersten Normen für Lehmbauten auf der ganzen Welt. Und dann gab es in den 70er Jahren DIN-Normen, die aber wieder zurückgezogen wurden, weil es keine Nachfrage gab. Vor einigen Wochen haben wir drei neue DIN-Normen bekommen: für Lehmsteine, Lehm-Putzmörtel und Lehm-Mauermörtel. Ich war in dem Normenausschuss, bin aber mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Die Normen regeln zu viel,
verlangen von den Herstellern der Produkte sehr viele Nachweise und hemmen meiner Meinung nach die Entwicklung neuer Produkte und Bauweisen.
Die Domformen zum Beispiel werden in den neuen DIN-Normen nicht erwähnt, und die Lehmsteine, die ich für Kuppeln entwickelt habe und die Schallstreueffekte haben, bewegen sich nicht innerhalb der Normen.
Wie sieht nach Ihrer Meinung generell die Zukunft für das Bauen mit Lehm oder natürlichen Baustoffen in Deutschland und Europa aus?
Also, es ist im Kommen. Allmählich. Besonders das Bauen mit Strohballen, das ist in Europa sehr beliebt geworden. Ich habe gerade die Daten über Neubauten mit Strohballen in Europa erhalten. In den vergangenen Jahren wurden in Frankreich 2.500 und in England 2.000 neue Häuser mit Strohballen gebaut. Und nur 250 in Deutschland.
Warum so wenige in Deutschland, im Vergleich zu Frankreich und England? Gibt es dort weniger Interesse?
Nein. Es liegt an den Bauvorschriften. In Österreich ist es das Gleiche, nur 120 neue Häuser aus Strohballen, und in der Schweiz auch, nur 50 bis 60.
In Frankreich und England sind die Gesetze anscheinend nicht so streng. Außerdem gibt es in Frankreich für das Bauen auf dem Land weniger Vorschriften.
Gibt es in Deutschland einen Verband, der mir helfen könnte, mit Strohballen zu bauen?
Ja, den FASBA, den Fachverband Strohballenbau. Dort werden zurzeit Vorschriften für den Strohballenbau entwickelt.
Kann man mit sehr wenig Geld in Deutschland ein Haus bauen?
Wie viel würde das preiswerteste Haus mit 60 m² und zwei Räumen in Deutschland kosten?
In Deutschland arbeite ich nicht mehr als Architekt. Ich habe in den letzten Jahren keine Häuser mehr hier gebaut, also… wenn Sie Ihr Haus selber bauen
wollen, mithilfe Ihrer Freunde, dann würde ich Ihnen empfehlen, mit Strohballen zu bauen, weil das arbeitsintensiv ist. Aber Sie brauchen auch dafür einen Fachmann, der sich auskennt und den Bau begleitet.
Aber in Deutschland können Sie nicht wirklich viel Geld sparen, wenn Sie Ihr Haus selber bauen. Weil Sie mehr Zeit dafür brauchen, mehr Fehler machen werden und nicht so effektiv wie ein deutscher Handwerker arbeiten können. Darüber hinaus müssen die Sicherheitsbestimmungen berücksichtigt werden. Man braucht eine Baustellenversicherung für die Mitarbeiter. Ein weiteres Problem ist die Garantie. Wenn Sie ein professionelles Bauunternehmen beauftragen, haben Sie für die Qualität Ihres Hauses eine Garantie. Wenn ein Fehler passiert, wird er behoben, oder Sie kriegen dafür einen Rabatt. Mit Freiwilligen bekommen Sie das nicht. Deswegen denke ich persönlich, dass Selberbauen in Deutschland kaum eine Chance hat. Natürlich gibt es Gesellschaften oder
Genossenschaften, die ihre Häuser selber bauen, aber das ist keine große Bewegung. Nicht in Deutschland.
Aber könnte man ein Haus für weniger als 100.000 € in Deutschland bauen?
Mit Sicherheit! Ein Kollege von mir hat für 1.200 bis 1.500 €/m² Häuser gebaut, ausgenommen den Preis für das Grundstück, aber inklusive aller Nebenkosten. Dann würden 60 m² zirka 90.000 € kosten.
Welche Maschinen würde man dafür benötigen?
Wenn man mit Strohballen baut, braucht man keine Maschinen. Nur gute Strohballen und guten Putz.
Wie viel Zeit würde der Bauprozess beanspruchen, vom Anfang bis zum Ende, von der Baugrube bis zum fertigen Haus?
Das hängt von so vielen Faktoren ab. Normalerweise würde man nach der Frostperiode im März anfangen und am Ende des Jahres fertig sein.
„Besuchen Sie Lehm-Workshops! Heutzutage unterrichten Universitäten das nicht.“
Was würden Sie Architekturstudenten/ -studentinnen raten, die mit Lehm oder natürlichen Baustoffen bauen wollen? Wo könnten sie lernen, wie man das macht?
Heutzutage können Sie das nicht an den Universitäten lernen. Ich denke, dass es am besten ist, Workshops zu besuchen und die Kurse oder Ausbildungen des Fachverbandes Strohballenbau beziehungsweise der Europäischen Bildungsstätte für Lehmbau und des Norddeutschen Zentrums für Nachhaltiges Bauen.
Die Intensivkurse zum Bauen mit Lehm, die wir an der Universität Kassel durchgeführt haben, werden jetzt am Norddeutschen Zentrum für Nachhaltiges Bauen in Verden angeboten und von meinem ehemaligen Assistenten Dittmar Hecken geleitet. Diese Kurse finden zweimal im Jahr statt und umfassen Techniken wie Stampflehm, Adobe, Putz, Reparaturen und sogar das „Lehmwurst-System“.
Interview Prof. Gernot Minke, Architekt, Kassel